Dr. Vanessa Hilleringmann

Dr. Vanessa Hilleringmann

Beraterin

5 Minuten Lesezeit

15. Dezember 2022

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Insights

SCRUM – Ganz oder gar nicht?!

Wie einfach wäre es doch, wenn wir an dieser Stelle ein simples Patentrezept “5 Schritte zur erfolgreichen SCRUM Einführung” aus dem Hut zaubern könnten. Doch leider können, unserer Meinung nach, weder weiße Kaninchen noch eben dieses Patentrezept aus einem Hut gezaubert werden. Woran es beim Kaninchen liegt, wollen wir hier nicht vertiefen. Diesen Beitrag widmen wir SCRUM. Denn die Umstellung auf eine agile Arbeitsweise und die Einführung von SCRUM in ein Unternehmen ist ein Prozess, welcher nicht von heute auf morgen gelingt bzw. gelingen kann. Selbst der SCRUM Guide bezeichnet SCRUM als einfach zu verstehen, aber schwierig zu meistern:


Abbildung 1: Scrum – einfach zu verstehen, aber schwierig zu meistern


In jedem Fall ist ein erster Schritt eine intensive Auseinandersetzung mit dem Thema „SCRUM“. Egal in welchem Sinne SCRUM eingesetzt werden soll, stellt sich zuerst einmal die Frage:

Warum wollen wir SCRUM einsetzen?

Eine Studie von Bitkom Research¹ zeigt, dass jedes zweite IT-Unternehmen bereits auf agiles Projektmanagement setzt. Dabei bezeichnet Bitkom Research SCRUM als König unter den Projektmanagementmethoden, denn 8 von 10 Unternehmen, die ein agiles Projektmanagement verwenden, setzen auf SCRUM. Auch der „13th annual state of agile report“² bestätigt diese Zahlen: In 72% der Fälle, in denen eine agile Methode bzw. ein agiles Frameswork verwendet wird, wird SCRUM oder eine hybride, auf SCRUM basierende Methode, verwendet. Allerdings sagen auch 78% der Teilnehmer*innen, dass sie zwar SCRUM nutzen, aber noch nicht überall in ihrem Unternehmen agile Teams gebildet wurden.

Die Zahlen sind schon sehr überzeugend, oder? Da dies so ist, ist es besonders wichtig, agile Methoden nicht zum Selbstzweck einzuführen oder weil „agil“ als Buzzword aktuell in aller Munde ist. SCRUM ist ein Framework, das sich für komplexe Projekte eignet, egal ob im Bereich der Software- und Produktentwicklung oder im Projektmanagement. Innerhalb dieses Frameworks sind einige Regeln und Kernelemente vorgeschrieben. Doch auch diese bieten Spielraum für Interpretationen und eigene Ausgestaltungsmöglichkeiten. Wussten Sie z.B., dass im SCRUM Framework keine Rede von Taskboards ist? Dennoch nutzen viele SCRUM Teams ein Taskboard, um die für SCRUM so wichtige Transparenz zu gewährleisten.

Die Teilnehmer*innen des „13th annual state of agile report“ beantworten die Frage nach den Gründen für den Einsatz von SCRUM folgendermaßen:

  • 74% Beschleunigung von Softwareauslieferungen
  • 62% positiver Umgang mit Veränderungen
  • 51% Steigerung der Produktivität

Aber auch Punkte wie eine Steigerung der Qualität (43%), Erhöhung der Teammoral (34%) und Reduzierung der Projektrisken (28%) werden genannt.


Worauf basiert SCRUM?

Das agile Manifest³, 2011 von 17 Softwareentwickler*innen begründet, kann als die Basis der Agilitätsbewegung bezeichnet werden. Es beinhaltet vier agile Leitsätze, von denen zwölf agile Prinzipien abgeleitet wurden. Bevor eine SCRUM Einführung forciert wird, bietet sich eine tiefergehende Auseinandersetzung mit dem agilen Manifest und seinen Prinzipien an.


Abbildung 2: Leitsätze des agilen Manifest


Die obige Grafik zeigt die vier Leitsätze des agilen Manifests. Eine Auflistung der zwölf Prinzipien agiler Softwareentwicklung finden Sie hier

Möchten Sie SCRUM erfolgreich einführen? Dann diskutieren Sie die agilen Leitwerte und einzelnen Prinzipien.

Wie kann ich die agilen Leitwerte und Prinzipien in meinem eigenen Arbeitsumfeld anwenden?

Ken Schwaber und Jeff Sutherland, die SCRUM Gründer, haben das Agile Manifest mitentwickelt. Für das SCRUM Framework definierten sie fünf SCRUM Values: Focus, Openness, Committment, Courage und Respect. Diese Werte bilden die Grundlage für das SCRUM Framework. Auch eine Auseinandersetzung mit diesen fünf Werten ist notwendig. Alle Mitglieder des SCRUM Teams arbeiten entsprechend dieser Werte und in Situationen in denen Entscheidungen getroffen werden müssen, werden diese im Einklang mit den SCRUM Werten getroffen.


Abbildung 3: SCRUM Values


Der SCRUM Guide definiert die fünf SCRUM Werte folgendermaßen:


  1. Die Mitglieder des SCRUM Teams engagieren sich persönlich, um das Ziel des SCRUM Teams zu erreichen (COMMITMENT)

  2. Die Teammitglieder haben den Mut die richtigen Dinge zu tun und auch an schwierigen Problemstellungen zu arbeiten (COURAGE)

  3. Jedes Teammitglied fokussiert sich auf den aktuellen Sprint und die Ziele des SCRUM Teams (FOCUS)

  4. Sowohl das SCRUM Team als auch die Stakeholder stimmen zu, dass sie offen über die anstehende Arbeit und auch die aktuellen Herausforderungen kommunizieren (OPENNESS)

  5. Alle Mitglieder respektieren sich als fähige, unabhängige Personen (RESPECT)


Im Grunde klingen auch diese Werte sehr einfach und sind leicht verständlich. Die Umsetzung dagegen ist eine Herausforderung. Die Bedeutung dieser fünf Werte wird oft dann deutlich, wenn einer der Werte fehlt oder missachtet wird.

Das SCRUM Team soll den „Mut“ haben mit Veränderungen im Projekt umzugehen und diese positiv zu nutzen. Ein selbstorganisiertes Team muss den Mut haben Entscheidungen zu treffen und neue Wege zu gehen. Dabei setzt das gesamte Team seinen „Fokus“ auf den aktuellen Sprint und vermeidet Ablenkungen und Störfaktoren. Ohne Fokus ist es nicht möglich das Wichtige vom Unwichtigen zu trennen. Der Wert „Respect“ umfasst nicht nur den gegenseitigen Respekt innerhalb des SCRUM Teams, sondern auch den Respekt gegenüber den Stakeholdern und Kunden. Als SCRUM Team Mitglied muss ich auch die Wünsche und Entscheidungen des Kunden respektieren: Beispielsweise in Situationen in denen ein Extra-Feature aus finanziellen Gründen nicht für die Entwicklung freigegeben wird. Durch den Wert „Offenheit“ ist gewährleistet, dass in einem solchen Fall offen über das noch zu entwickelnde Feature, die potenziellen Kosten und die Bedenken des Kunden gesprochen wird.

Erst wenn die agilen Leitsätze und Prinzipien auf das eigene Unternehmen übertragen werden, ergibt die Einführung von SCRUM Sinn. Ausgehend von agilen Werten und Prinzipien können einzelne Techniken abgeleitet und eingeführt werden. Nach und nach kann so das gesamte SCRUM Framework adaptiert werden.


Welche Elemente sollte ich zuerst einführen?

Das SCRUM Framework besteht aus drei Rollen, fünf Events und drei Artefakten. Im Übersichtsblogartikel „Ab ins Gedränge! Oder was ist eigentlich SCRUM“ (hier geht es zum Beitrag) werden diese näher erläutert. Jedes Element hat eine bestimmte Bedeutung und Wichtigkeit und nur wenn alle Elemente beachtet und praktiziert werden, ist SCRUM erfolgreich. Nichtsdestotrotz kann es Sinn ergeben zuerst nur Teile zu adaptieren und nur einen Teil der Elemente anzuwenden. Laut „13th state of agile report“ ist dies die Top 5 der angewendeten agilen Techniken. Diese eignen sich auch als Ansatzpunkt für die Auswahl der ersten Elemente zum Start einer SCRUM Einführung.


Abbildung 4: Agile Elements


Im Folgenden wird beispielhaft die Bedeutung der drei Elemente Retrospektive, Daily SCRUM und Timeboxing erklärt.


Beispiel Retrospektive

Die Retrospektive bietet Zeit für Reflektionen, und zwar über das Arbeitsergebnis hinaus: Wie läuft es im Team? Was war gut, was war schlecht? Es geht nicht darum nur die negativen Erfahrungen herauszustellen, viel mehr darum Lerneffekte zu schaffen und für AHA-Momente zu sorgen. Lässt man diese weg, so vergibt man eine ganz wichtige Chance für Verbesserungen.


Beispiel Daily SCRUM/Daily Standup

Dieser findet jeden Tag zur gleichen Zeit am gleichen Ort statt. Warum nicht den Daily SCRUM nur alle 3 Tage durchführen? Der Daily SCRUM zeichnet sich durch die enge Taktung und die Gleichmäßigkeit aus. Dadurch wird eine gewisse Routine etabliert und Risiken werden minimiert. Frühwarnzeichen werden gelesen und innerhalb von 24 Stunden können erste Anpassungen erfolgen. Gerade das führt dazu, dass Risiken minimiert werden, eben weil es diese regelmäßigen Treffen gibt. Eine schnelle Reaktion aus potenzielle Risiken ist so problemlos möglich.


Timeboxing

Auch das Timeboxing hat eine bestimmte Funktion. Es gibt eine Leitlinie vor und erzieht das Team zur Selbstorganisation. Durch die gesetzten Zeitfenster entsteht eine gewisse Verlässlichkeit und die Selbstorganisation wird gefördert. Spätestens wenn ich beim dritten Daily SCRUM nicht zu Wort kam, werde ich meine Kollegen respektvoll draufhinweisen und mich durchsetzen.

Der SCRUM Guide allerdings sagt eindeutig: SCRUM – Ganz oder garnicht! Zwar können einzelne Teile eingeführt werden, doch dann ist es nicht SCRUM. SCRUM funktioniert nur komplett!


Abbildung 5: Auszug aus dem SCRUM Guide


Wir empfehlen eine schrittweise Auseinandersetzung mit den SCRUM Werten und den SCRUM Elementen. Jedes Element hat seine eigene Daseinsberechtigung und verfolgt einen bestimmten Zweck. Eine SCRUM Einführung kann also nur dann erfolgreich sein, wenn alle SCRUM Elemente berücksichtigt werden. Nichtsdestotrotz ist eine Auseinandersetzung mit den agilen Werten ein erster Schritt zu einem agilen Mindset. Auch einzelne Elemente des SCRUM Frameworks können eine Basis für ein agiles Handeln sein!



Quellen

¹ https://www.bitkom-research.de/de/pressemitteilung/scrum-koenig-unter-den-agilen-methoden


² https://www.stateofagile.com/?_ga=2.133937030.925946827.1574084842-941861643.1574084842#ufh-i-521251909-13th-annual-state-of-agile-report/473508


³ https://agilemanifesto.org/iso/de/manifesto.html